Der Maler Holger Bunk, 1954 in Essen geboren, in Soest aufgewachsen, absolvierte die Staatliche Kunstakademie Düsseldorf als Meisterschüler von Professor Alfonso Hüppi und wurde schon während des Studiums vom Kunstmarkt entdeckt. Eine internationale Ausstellungstätigkeit, renommierte Kunstpreise und die Berufung an die Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart begleiteten sein konstantes und konsequentes Schaffen. Im Aufleben neuer figürlicher Tendenzen in den 1980er Jahren nimmt Holger Bunks Werk eine Sonderstellung ein, da er stilistisch keiner der entstehenden Gruppierungen in Köln oder Berlin zuzuschreiben ist. Holger Bunk war zu mehreren Arbeitsaufenthalten in Afrika und betreibt Ateliers in Soest und Amsterdam. Auf Einladung des Baseler Galeristen Felix Handschin installiert er 1980 mehrere dafür konzipierte Gemälde auf einer Hausfassade, so dass die dort vorhandenen Fensteröffnungen teilverdeckt waren. Aus der Waage in die Diagonale gebracht erwecken diese den Eindruck des Fallens oder aber der Öffnung des Hauses. Sie geben sowohl Teileinblick, und verhindern ihn zeitgleich. Sie fallen aus dem Rahmen des Fensters oder ersetzen ihn. Sie gestalten die äußere Fassade und verändern den urbanen Umraum.
Holger Bunk deutet hiermit ein generelles erkenntnistheoretisches Problem bei Artefakten der Bildenden Kunst an, welches sowohl auf Produzenten-, als auch Rezipientenseite bestehen kann. Dass die wie scheinbar als Bild im Bild schwebend angebrachten und versetzt montierten Werke in dieser installativen Präsentation auch noch skulpturalen Charakter bekommen, betont raumgreifend ihre rein physische Präsenz. Diese entzieht sich aber zugleich an der sehr hohen Hauswand wegen der rein räumlichen Distanz zum Betrachter und wirft ihn auf seine reine Wahrnehmung zurück. Greifbar ist hier nichts, jedoch rein visuell in der Anschauung mit den Augen und in der Vorstellung gedanklich nachvollziehbar.
In Kaspar Königs wichtige Impulse setzender Düsseldorfer Übersichtsausstellung „von hier aus“ im Jahr 1984 ist die Malerei-Installation „Zweifacher Raum“ von Holger Bunk ganz in die Nähe gerückt, distanzlos erlebbar, da direkt begehbar und sogar durchschreitbar. Großformatige Gemälde sind winkelig im Ausstellungsraum installiert und haben eine reale Durchtrittsöffnung für die Besuchenden integriert. Realer Raum und Illusionsraum überlappen, können an dieser Schnittstelle zumindest in der Vorstellung ineinander übergehen. Ausstellungsbesucher können sich als Teil des Gemäldes wahrnehmen, indem sie es „betreten“ , wobei sie es im gleichen Moment wieder verlassen haben. Obwohl die physische Distanz nahezu aufgehoben scheint, muss bei der Betrachtung immer wieder umhergewandert und zurückgetreten werden, um das Environment als Ganzes erfassen zu können.
Im Fall der „Hammerfassade“ aus Basel zeigten die Teilgemälde eine offensive Tendenz dem Betrachtenden scheinbar visuell entgegen zu stürzen. In „Zweifacher Raum“ in Düsseldorf ist das mehr als lebensgroße Malerei-Ensemble, eher von defensiver Note, sowohl in dem perspektivisch illusionistischen Tiefenraum, als auch in dem real zurückweichenden Raum mit einladendem Charakter.
Die Räume von Holger Bunk kommen entgegen, umfangen, aber sind physisch real nicht zu erreichen, sondern immer nur in der gedanklichen Vorstellung der Betrachtenden, womit der Titel der Düsseldorfer Arbeit sich als treffend erweist.
In jüngeren Ausstellungen nutzt Holger Bunk die Galerie selbst als „Zeichenraum“, indem er auf der Ausstellungswand Zeichnungen montiert oder sogar direkt auf ihr zeichnet, so dass der Ort zum Medium wird und realer Architektur- und malerischer Illusionsraum miteinander verschmelzen.
Dies scheint zunächst nur eine karge Art von Exposition, die jedoch das Spiel mit den Räumen subtil weitertreibt. Der Ausstellungsraum, der per se eigentlich der Präsentation dient, wird in das Medium als Repräsentationsobjekt hineingesogen, denn er ist von Anfang an Bestandteil der Bildkomposition. Diese Amphibolie ist der Struktur von Holger Bunks Bildkonzept mit der Verkettung von perzeptiven und reflexiven Momenten eigen. Anschauung, Vorstellung und Bedeutungszuschreibungen werden durch subtilen aber unausweichlichen Eingriff in Bildkontext und Bildgefüge permanent auf die Probe gestellt. Ist es der Ausstellungsraum, der dem Werk die Präsentation als solches erst ermöglicht, oder ist es das Werk, welches den Raum als Werkbestandteil erst hervorbringt?
Holger Bunk verlagert die Lösung konzeptuell in das Denken, denn aus der sinnlichen Wahrnehmung oder der Phantasie der Betrachtenden ließe sich nicht allein eine valide Sinnzuschreibung gewinnen. Das hier zu praktizierende visuelle Denken vermag einen kaskadenartigen Reflexionsprozess anzustoßen, der dann mit eigener Vorstellungswelt und Erinnerung an die damit verbundenen Wahrnehmungen immer unterfüttert werden kann.
Im Baseler Projekt drängt der malerische Illusionsraum in den öffentlich Raum, im Düsseldorfer erstrebt er die potentielle Öffnung des malerischen Illusionsraumes für den öffentlichen Besucher-Raum, und in der Folgezeit zielt seine Arbeitsweise auf Verschmelzung beider Räume, zumindest auf einer gedanklichen Ebene.
Diese Interaktion passiert über die Werkkomponenten bzw. das Bildrauminventar: formal über den installativen Kontext, inhaltlich über ein potentiell zu suggerierendes Narrativ, personifiziert in den oftmals zum Rezipienten Blickkontakt suchenden Bildprotagonisten, und intermedial im Vexierspiel der semantischen Ebenen von Text, Bild und Technik.
„Eigentlich male ich permanent im Konjunktiv:“ sagt Holger Bunk. Seine Gemälde zeigen ihn oft persönlich mit Selbstbildnissen in einem von Architektur bestimmten Kontext. Seltener sind es reine Landschaften, die aber dann Zeugnisse menschlichen Handelns bergen. Er schaut als ein in innerer Versunkenheit Nachdenkender aus dem Bild heraus, den Blick der Betrachtenden streifend und packend, ihn unmerklich in das Bild hineinziehend. Beschäftigung, Geschehnisse, Handlung und Umstände der in seinen Bildern sichtbaren Akteure sind nicht genauer zu erhellen, aber so denkbar möglich wie plausibel.
Die gemeinsame Serie von Fotografien „Was macht das Bild in Dir, 100 Stellungen mit Klaus und Holger“ von Holger Bunk und Klaus Richter, 1979, mit sachlich konstatierendem Understatement fotografiert von Thomas Kesseler, erinnert nicht nur formal an die Bestandsaufnahmen im Stil der Becherschule der Düsseldorfer Akademie, sondern inhaltlich eben auch an die Performance- und Happening Tradition, die sich im voran gegangenen Jahrzehnt mit dem Akademielehrer Joseph Beuys und der Fluxus-Bewegung im Umfeld der Akademie manifestierte. Statisch wirkende Gebärden, Mimik und Haltungen scheinen formelhaft, folgen aber keinem bekannten Schema. Obwohl die Gebärden-Aktion pur und minimal daherkommt, bleibt sie doch enigmatisch und die Intention der Akteure schleierhaft. Ihre scheinbare Zielgerichtetheit wird mit feinem Humor ad absurdum geführt, ohne dass Betrachter je ihren vermuteten Bedeutungsgehalt in Zweifel ziehen würden.
In Holger Bunks großformatigen Gemälden sind ebenfalls sehr oft Akteure zu beobachten: Er selbst, Männer, die stehen, sitzen, sich bewegen. Sie essen, arbeiten, erkunden, oder sind offensichtlich in Gedanken versunken. Das Denken ist der ständige Begleiter des Tuns, sein Zwilling. Oft ist die situative Einschätzung der Akteure und ihres Tuns schwierig, da die ausschnitthaft dargestellte Handlung einer Momentaufnahme gleicht. Über ihr Ziel, ihren Grund und die Intentionen der beteiligten Figuren lassen sich nur Vermutungen anstellen. Requisiten, Lokalität und Gestik können als Indizien fungieren, aber die Situation nicht restlos aufklären. Trotz der angenehmen Bildruhe, die die Kompositionen aufgrund ihrer Statik verströmen, haben Holger Bunks Gemälde transitorischen Charakter.
Somit erklärt sich sein eingangs zitiertes Diktum zur Malerei. Es geht immer um das Mögliche, das, was im nächsten Moment passieren könnte, oder möglicherweise sich gerade ereignet hat. Es wird hier das Problem der Kontingenz in der Philosophie gestreift, welches im Spannungsverhältnis von Unmöglichkeit und Notwendigkeit das Problem des zufällig möglich Seienden zu erhellen sucht. Indirekt drängt sich die sekundäre Frage nach den zu Grunde liegenden Konventionen, Normen, Werten oder dem herrschenden Ethos auf, welches mit seinen Maximen die Handlungen bestimmt. Um dies weiter zu ergründen, fügt Holger Bunk das geschriebene, gezeichnete, gedruckte, gemalte Wort mit in die Komposition ein. Seine Akteure halten Papierbögen, möglicherweise beschrieben, Umschläge, Tafeln, Titelseiten von Büchern, in die Gemälde hinein gemalte, wie montiert wirkende Zettel und Comichefte. Ganze Serien von Papierarbeiten nutzen das Collageprinzip, um Schrift in Form von Wörtern oder Sätzen in der Komposition als Bildbestandteil zu etablieren. Das Nebeneinander von bildlicher und textlicher Botschaft ist wiederum Rätsel und Indiz für Sinn- und Bedeutungssuchende. Sinnerhellung und Bedeutungszuschreibung von Bildwerken erfolgt im Medium der gesprochenen oder geschriebenen Sprache. Das Sprechen und Verfassen von Texten über Kunst ist ihrem Betriebssystem eingeschrieben, die verbale Stille weniger. Sprache als ständiger Begleiter, als Erkenntniswerkzeug und filternde Brille, bewacht den Zugang zum Visuellen.
Bei Holger Bunk transzendiert diese die Schwelle und nistet sich gefällig im Bildgefüge ein, als Gast, den man befragen und nicht einfach hinauskomplimentieren kann. Selbst bei der alltäglichen Wahrnehmung schaltet sie sich aus dem Hintergrund mit ein, kommentierend, appellierend und schon mal besserwisserisch belehrend. Ebenso wie das Bildgedächtnis des Alltäglichen als nur unterschwellig bewusst präsentes, die Wahrnehmung und das visuelle Denken moduliert, kann Sprache als Impuls für Visualisierungen beim Betrachtenden fungieren. Anekdotisch sei angemerkt, dass selbst Holger Bunks Soester Atelier und Schaulager von der Infizierung mit Schrift nicht verschont blieb. Untergebracht in einem ehemaligen freikirchlichen Gebetssaal schimmerte nach den erfolgten Renovierungsarbeiten auf der Stirnwand immer wieder ein biblischer Sinnspruch wie ein Menetekel durch den Anstrich. Dass sich hier das die empirische Wirklichkeit Transzendierende unmissverständlich in den Raum schiebt, mag sinnbildlich gesprochen verdeutlichen, worum es Holger Bunk geht. Der Figurenstab seiner Bilder „wirkt“ in der sogenannten Realität, mit Hilfe sprachlicher Verständigung, gedanklicher Durchdringung, wobei jedem dieser Teilaspekte "Wirkmächtigkeit", nicht nur visuell in seinen Bildern, sondern auch real, unterstellt werden kann. Dieses Wirkungsgefüge ist durch den Rezipienten nicht dividierbar oder verhandelbar, sondern wird ihm zum eigenen Gebrauch schon beim „Lesen“ des Bildes überantwortet.
Die vermeintliche Handlung der Figur lässt auch immer beim Betrachter Imaginationsspielraum für ein davor und danach. Das Enigmatische drängt retrospektiv zur Suche nach Gründen, prospektiv nach Zielen oder Zwecken. Im landschaftlich geprägten Bildraum geht es um das Erforschen und Entdecken, im architektonischen, urbanen oder auch Innenraum um durch gesellschaftliche Konvention und Zivilisation geprägte Tätigkeiten: es wird konferiert, zugetragen, berichtet, gesteuert -mit technischem Gerät-, besichtigt, geplant, gegangen, gelaufen, gesessen, verglichen und gedacht. Offenbar handelt es sich um Tätigkeiten, die Rahmen der Zivilisation existentiell notwendig sind, zur aktuellen menschlichen Existenz dazu gehören, diese erleichtern oder erst ermöglichen. Die Frage, die sich dem Betrachtenden beim Beobachten der Bildfiguren unausgesprochen aufdrängt lautet: Was passiert hier gerade? Gefolgt von: Ist dies wichtig? Und: Ist das notwendig oder folglich in der Art und Weise angemessen und richtig?
Was nun bleibt, ist, dass Holger Bunks Werke nach dem Einstieg in seine Bildwelt als Gedanken-Bilder „lesbar“ werden und als visuelle Impulse unsere Vorstellungen und Annahmen über die „Wirklichkeit“, als ein Formgefüge mit ihren multiplen Interaktionsebenen verändern. Und das geschieht nicht nur sensibel und reflektiert, sondern auch bisweilen sehr humorvoll.
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