Holger Bunk
Vorbemerkung
Dies ist eine Art visueller Essay zum Thema „Illustration und Malerei“ aus der Perspektive meines Ateliers und der Lehre. Beim Verfassen des Textes, der vor einer Mehrheit von Studentinnen gehalten werden sollte, machte ich zunächst den Versuch, die weibliche neben die männliche Form zu stellen, also von Studentinnen und Studenten, Malerinnen und Malern, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu sprechen. Spätestens aber bei Formulierungen wie „Dissonanz in Heldinnen- und Heldentum” merkte ich, dass dies die Verständlichkeit und Sprechbarkeit des Textes einschränkt und ich an diesem Versuch einer Gleichstellung scheitern werde. Ich bitte also um Verständnis.
–
Das Ladenschild des Kunsthändlers Gersaint
und
Europas größter Comicladen, Esslingen 2013
Die Begriffe „Illustration“ und „Malerei“ benutzt man im Alltag als verwandte, aber doch gegeneinander abgegrenzte Kategorien. Von Illustration haben wir die Vorstellung, dass es um eine „angewandte Kunst“ geht; um das Bebildern von Themen, die von Text und Theorie vorgegeben werden. Die klassische Illustration muss schnell Aufmerksamkeit wecken oder veranschaulichen, ist aber Inhalten wie Belehrung oder Information zu– oder untergeordnet. Die Kategorie „Malerei“ wird hingegen aufgrund der generellen Freiheit von Kunst als unabhängig gesehen. Nicht ausgesprochen wird dabei, dass auch die Kunst nach einer umkämpften, stark hierarchischen Bewertungsskala geordnet wird: „Kunst“ kann – aus was für Gründen auch immer – unbedeutend bleiben, aber auch in Auktionen in rekordverdächtige Höhen aufsteigen oder zur Blockbuster–Ausstellung–Inszenierung, die alle Plattformen bespielt. Es ergibt sich im Sprachgebrauch trotzdem eine ungefähre Arbeitsteilung: Angewandte und Freie Kunst, was grob gesehen einer Hierarchie zwischen populär-zugänglichen Alltagsbildern gegenüber elitärem, dauerhaftem Anspruch entspräche.
Gerhard Richter *1932, „Atlas”
Als Maler sitze ich im Atelier oder an meinem Schreibtisch, wo ich mich vorbereite, vor Mengen von gesammelten Abbildungen, Illustrationen, Zeitungsausschnitten, die mich irgendwie fasziniert haben. Sie sind Arbeitsmaterial und noch nicht „Kunst“, aber gesammelte Fotos und Bilder, Magazine, Bücher, spielen zugegebenermaßen eine größere Rolle bei der Vorbereitung als eigene Skizzen und Entwürfe. Bei Kollegen, die ich ebenso lustvoll in solchen Materialsammlungen hausen sehe, ist das ähnlich; oder bei Studenten, die von Fotos malen, oder mittlerweile ohne Papierausdruck direkt vom Bildschirm. Es gibt renommierte Beispiele für das Arbeiten aus einem angesammelten Bild-Pool: Man kennt Gerhard Richters „Atlas“, der nicht nur gelegentlich ausgestellt wird, als Buch publiziert, sondern auch auf einer Website zur Verfügung steht. Gefundene Bilder, visueller Alltag haben hohen Rang in seiner Malerei-Produktion.
Hans Sedlmayr 1896 – 1984, Buchcover „Verlust der Mitte“
Aby Warburg 1866 – 1929
In den kunstwissenschaftlichen Teilen meiner Ausbildung geriet ich zwischen Lehrer, von denen sich einer auf die Methodik seines Lehrers Hans Sedlmayr und andere eher auf Aby Warburg bezogen. In großen Teilen einander entgegengesetzt, konnte dies Studierende verwirren. Dabei spielte eine Rolle das sublime „handwerklich richtige“ Malen, die hohe Kunst, die Alltagsbildern und einer umfassenden „visuellen Kultur“ entgegengesetzt wurden.
Sedlmayr beschreibt Phänomene der Gegenwartskunst in Begrifflichkeit der Krankheit und gibt der abendländisch-christliche Tradition und insbesondere der vor-modernen figurativen Malerei den höchsten Rang. Überspitzt polemisierte mein damaliger Lehrer in „Sedlmayr-Tradition“, dass seine „Warburg-Kollegen“ „Kathedralen mit Bierdeckeln“ vergleichen. Jenseits dieser Polemik schätze ich dennoch an Sedlmayrs Methodik die Forderung nach Erkenntnis durch Anschaulichkeit.
Aby Warburg hingegen legte mit der Methodik einer umfassenderen, internationaleren, auch den Alltag betreffenden Ikonologie Grundlagen für eine Haltung, die ich bis heute bei vielen Kunstwissenschaftlern und Künstlern – auch beim oben genannten Gerhard Richter – sehe: Es geht darum zu erkennen, wie sich kulturelle Entwicklungen vollziehen und komplex auswirken. Sie sind eben nicht ausschliesslich einer „hohen“ Kunst vorbehalten. Viele Künstler, die uns interessieren, arbeiten an globalen Vergleichen und Zusammenhängen in der gesamten visuellen, ästhetischen Produktion und eben nicht nur der als „Hochkultur“ deklarierten Bildwelt.
Der Blick des Malers mit eher assoziativer Vorgehensweise setzt sicher andere Schwerpunkte als die Wissenschaft, die fundierte Nachweise bringen muss. Aber sowohl Kunst als auch Wissenschaft interpretieren vorhandene Bilder in Motivreihen, um die Abkunft von Bildern zu untersuchen oder um sich Entwicklungen zu erklären. Die figurative Bildreihe, die ich hier versuchsweise vorstelle, enthält dabei Werke von Malern, mit einem ausgesprochenem Verhältnis zur Grafik.
An den dargestellten Figuren hat mich interessiert, wie – parallel zur historischen Lösung aus dem Feudalismus – aus moralischer Vorhaltung und Wertung eine umfassende, letztlich radikale, politisch-soziale Kritik wird. Mit Hilfe künstlerischer Interpretation und Stilisierung wird eine zunehmende Doppelbödigkeit und ein Hintertreiben der dargestellten menschlichen Figur sichtbar; Die figurative Darstellung bewegt sich in einer Skala von der Idealisierung hin zum grotesk – monströsen Phantasma. Aus Dissonanz in Heldentum und Heiligkeit entwickeln sich die Möglichkeiten der Karikatur. Am Ende steht der überzeichnete „character“, der uns in zeitgenössischen Bildern zeigt, wo die Welt gut oder fehlbesetzt ist und was uns deformiert. In der Entwicklung der Abbildung von Menschen wird die Veränderung gesellschaftlicher Hierarchien, der Mechanismen von Verfügung über Menschen, der Befreiung und ständigen Neu–Aufbruchs und Wandels von Ideologien sichtbar. Wie gesagt ist diese Reihe ein persönlicher Versuch der Veranschaulichung eines thematischen Wandels im Figurativen.
Heinrich Aldegrever 1502 – ca 1561
Jacques Callot 1592 – ca 1635
Jacques Callot (2)
Leonaerd Bramer 1596-1674
Francisco Goya 1746-1828
Karl Blechen 1798-1840
Karl Blechen (2)
Honoré Daumier 1808-1879
Honoré Daumier (2)
Odilon Redon (3)
Vincent van Gogh 1853-1890
James Ensor 1860-1949
James Ensor (2)
James Ensor (3)
Max Ernst 1891– 1976
Max Ernst (2)
Max Ernst (3)
Hannah Höch 1889 – 1978
Hannah Höch (2)
Hannah Höch (3)
Kurt Schwitters 1887 – 1948
Kurt Schwitters (2)
Allen Jones * 1937
Allen Jones (2)
Allen Jones (3)
Ronald B. Kitaij 1932 – 2007
Ronald B. Kitaij (2)
Sigmar Polke 1941 – 2010
Sigmar Polke (2)
Marlene Dumas * 1953
Marlene Dumas (2)
Ein solcher Schnelldurchlauf durch ausgewählte Figurendarstellungen muss lückenhaft bleiben und soll nur die inspirierende Methode mit ihrem Reichtum an Querverweisen illustrieren. Sicherlich würden Kunsthistoriker eher die grossen historischen Umwälzungen und Paradigmenwechsel wie die französische Revolution und Industrialisierung in ihrer Auswirkung auf die Distanz von Kunst und Massenkultur hin untersuchen. Als Bilder-Hersteller kann ich mir dagegen die Perspektive eines anschaulichen Vergleiches, des Zitates und der „Weiterverarbeitung” auch über Epochen und historische Kontexte hinweg erlauben:
Wilhelm Busch 1832-1908, Holger Bunk *1954
Wilhelm Busch, Neuruppiner Bilderbogen Mitte 19. Jh.
Neuruppiner Bilderbogen Mitte 19. Jh., Neo Rauch
Neo Rauch *1960
Geht man noch einen Schritt weiter und analysiert seinen grossen Erfolg bei amerikanischen Sammlern, so geraten vielleicht auch Ikonologie, Bildaufbau und Farbigkeit der US- amerikanischen Superhelden-Comics in Sicht – eine visuelle Verwandtschaft, die zu Rauchs Erfolg beigetragen haben kann.
––
Mich persönlich würde interessieren, inhaltlich andere Bildfolgen des Wandels zusammenstellen. Zum Beispiel über den Bildraum in der Malerei: Bildorganisation, Raumkonstruktion in der Fläche, bildinnere Rahmung, Nebenbilder im Bild, Layout, „split screen“, filmartige Sequenz und interaktive Navigation folgen ähnlich dramatischem und bezeichnendem Wandel. Aber das gezeigte Beispiel der Figurenbilder soll genügen und dafür stehen, dass Bildmotive eine komplexe Entwicklungsgeschichte durchlaufen.
Marlene Dumas „Models”
Im Folgenden möchte ich auf zeitgenössische künstlerische Positionen eingehen, die aus Gründen der Inhaltlichkeit auf populäre Bilderwelten und Illustration zugreifen. Es geht um Künstler, die ein Verständnis davon voraussetzen, dass mit medialen Ebenen gespielt wird. Letzteres schafft die Möglichkeit, sich mit einer visuellen Strategie in öffentliche Debatten einzumischen. Die rasante Veränderung von Medien und die Verfügung über Bilderzeugung werden dabei selbst zum Thema. Malerei und Illustration profitieren voneinander oder scheinen die Plätze zu tauschen. Im wahrsten Sinne kommt es zur gegenseitigen Reflexion.
Marlene Dumas „Models”(2)
Matthias Winzen formulierte über die Überlagerung von medialen Ebenen anlässlich der Ausstellung von Marlene Dumas´ Bildern in der Kunsthalle Baden-Baden sinngemäß: Marlene Dumas habe in der Serie der „Models“ ihre erstaunliche Fähigkeit bewiesen, durch Malerei aus maskenhaft-geschminkten und digital bearbeiteten Zeitungsabbildungen wieder Gesichter mit Emotionen zu machen, die auf der Ebene der Malerei „lebten“. Hier wurden demnach sterile Illustriertenfotos in intensive Bilder zurück verwandelt. So sehr ich dem zustimme, was Winzen dort insbesondere an der Serie der „Models“ beobachtete, bin ich bei der neueren Serie von Künstlerporträts kritisch:
Bevor Dumas erstmals eine Porträtserie homosexueller Künstler auf der „Manifesta 2014“ in St. Petersburg zeigte, gab es bereits kritische Pressestimmen, die sich mit der jüngsten Gesetzgebung hinsichtlich Homosexualität in Russland auseinandersetzen, zu denen diese Portäts wie nachgelieferte Illustrationen wirken. Diese Blätter entfalten nicht die gleiche malerische Notwendigkeit wie diejenigen, die die high-end gestylten Models der Modeblätter transformieren. Ein Kommentar zu Bildmanipulationen an Models fällt klarer in die Kompetenz von Malerei. Dumas als in Europa lebende Südafrikanerin positioniert sich in ihren beiden Bilderserien in der politischen, interkulturellen und Gender - Debatte. Wenn der „malerische Blick“ Anlass für die Arbeit ist, wird das Ergebnis jedoch intensiver, als wenn die politische Haltung der Malerei eine illustrierende Rolle zuweist.
Das Politische und Soziale, das Aufgreifen populärer Themen bringt Künstler in die Rolle des renommierten Vorkämpfers und kann ihm auf politischer Ebene die Aura des Engagements verschaffen. Aber tut er der Malerei einen Gefallen und brauchen wir ihn als Verkünder und Autorität?
Shepard Fairey *1970
Das Bild der demokratischen Kampagne und Popularität des Kandidaten Barak Obama wurde weltweit geprägt durch Shepard Fairey und seine wie mit Schablonen gesprayten flächigen Porträts. Nichts soll an repräsentative Kunst, malerischen Schmelz erinnern. Fairey schreckt allerdings weder vor Monumentalität, noch der imposanten Untersicht auf Gesichter zurück. Suggeriert wird große Direktheit und Einfachheit politischer Folklore.
Moralisches und soziales Engagement sind dazu verdammt, mit den politischen Verhältnissen kippen, die Konnotation des Engagements und des Populären ebenso. Nachträglich wirken die Obama-Portäts wie Applaus zum Repräsentanten des Systems. Ursprüngliche Hoffnungen und politische Details gehen in Propaganda unter.
Shepard Fairey (2)
Shepard Fairey (3)
Shepard Fairey „bei den Simpsons”
Nicht zu übersehen ist zudem der Stolz, mit dem sich die Pop-Attitüde mit dem Marketing von Mode verbindet. In den USA vielleicht der Beweis, dass Kunst im Alltag der Menschen angekommen ist. In Europa würde man dagegen den Konsumismus und die Gewinnerzielungsabsicht hinterfragen. Hier wird auf jeden Fall eine Gemeinde von Followern gebildet. Das vom Kult-Künstler gemachte Bild bekommt die Qualität eines Logos, das die Lifestyle-Szene zusammenschweisst. Die mediale Aufmerksamkeit, macht seine Inhalte zu einer Konsumware mit vergänglicher Haltbarkeit vergleichbar Mode oder Tageszeitung.
Kerry James Marshall *1953
Ein gleichzeitiges und doch entgegengesetztes Phänomen ist die Karriere des Malers Kerry James Marshall , der als Schwarzer derzeit im Alter von ca. 60 Jahren Ausstellungserfolge hat, die aber auf der kuratorischen Ebene wie ein erschrecktes Nachholen von Versäumnissen wirkt. Denn wie peinlich ist es, dass verglichen mit der Pop Musik im Ausstellungsbetrieb so unglaublich wenige schwarze Amerikanerinnen und Amerikaner international durchbrechen? Im Interview bekennt Kerry James Marshall, dass er sich in der akademischen Welt mangels Vorbildern als Aussenseiter empfand.
Kerry James Marshall (2)
So speist sich seine Ikonographie konsequenterweise aus der Alltagswelt der schwarzen Communities, die sich in einer eigenen Subkultur von Zeichen und Bildern äussert – allerdings mit der Frage nach kultureller Autonomie und Rechten einer Minderheit.
Kerry James Marshall (3)
Typisch ist es, dass ein Teil seines Werkes aus sequenziellen Bildern und graphic novels besteht, die sich vor seiner späten Karriere zunächst an das Publikum ausserhalb der Kunstszene richteten. In dieser prägenden Nähe zum Populären ist das Werk Kerry James Marshalls authentischer als all die Vertreter des kalkulierten „Bad Painting”, die als Akademiker ihre Nähe zur Popularkultur durch Illustrations – Zitate wie abgemalte Kitschpostkarten oder sonstiges absichtlich „Geschmackloses“ unter Beweis stellen wollen.
„Bad Painting”
„Miss Eve“ Evelyn Wangui Gichuhi *1980
Im Folgenden nun ein Beispiel einer jungen Illustratorin: „Miss Eve“ nennt sich Evelyn Wangui Gichuhi, eine junge Kenianische Illustratorin, die in den Klassen von Hendrik Dorgathen (Illustration) und Gabriele Franziska Götz (Visuelle Kommunikation) an der Kunstakademie in Kassel studierte. In ihrer Abschlussarbeit, einem Heft aus Bild und Text mit fundierter Quellenangabe kombiniert sie eine gezeichnete Geschichte mit Afrikanischen Werbebildern.
„Miss Eve“ (2)
Thema ist die Konstruktion des neuen, scheinbar korrekten „Nicht-Rassismus“, unter Weissen, der völlig ohne Schwarze Theoretiker und „Person of Colour“ „auskommt“.
Für ein solch schwieriges Thema voller ethisch–politischer Fallen und Fettnäpfe wählt sie das sequenzielle Bild und komplettiert das Heft mit ihren Texten und Verweisen auf Literatur und Links. So schafft sie Transparenz und Erreichbarkeit für ihr Publikum: Ein solches Heft kann als „niedrigschwellige“ Produktion ein zugänglicher Beitrag zur Debatte werden.
Chérie Samba *1956
Tafelbilder zu vergleichbaren Afrikanischen Themen, wie man sie etwa von Cherie Samba gesehen hat, wirken dem gegenüber eher wie Zwitter und müssen innerhalb seiner Thematik die Tradition des „wertvollen Bildes“ in einer Sammlung oder einem Museum erst etablieren.
Chérie Samba (2)
Die von Cherie Samba benutzen Mengen von Text im gemalten Bild spiegeln im Versuch der Überbrückung das Gefälle zwischen „Wissendem“ und „Nicht-Wissendem“, zwischen gebildeter und unerfahrener Rezeption.
Anton Kannemeyer *1967
Ein letztes Afrikanisches Beispiel soll zeigen, dass kritische Themen in der Grafik und Illustration für die Kritisierten schmerzhafter, also in ihrer Wirkung treffender werden können als malerisch ausdifferenzierte Unikate in einer Kunstgalerie: Anton Kannemeyers „Alfabet of Democracy“, eine Folge aus losen satirischen Blättern, die auch als Buch gebunden heraus kam, prangert nach Apartheid und Mandela Missstände an und zeigt wenig schmeichelhafte Portäts der Verantwortlichen.
Anton Kannemeyer (2)
„Die Guten” haben gesiegt und herrschen nun, – aber wie kann man nun Kritik formulieren, ohne rückwärtsgewandt zu sein? Seine an Hergé angelehnten Comic- Figuren scheinen in einer Welt eines zersplitterten, sich aber immer wieder neu formierenden Rassismus zu leben. Anton Kannemeyer gehört zu einem Team, das ein Comic-Blatt heraus gab, das politisch beobachtet und kommentiert. Hier ist keine künstlerisch-handschriftliche Individualität gefordert. Dennoch wurden Blätter aus Kannemeyers Serien auch in Kunst-Ausstellungen gezeigt und sind dadurch in gewissen Kreisen Kult geworden.
Ich habe sein Buch „Alfabet of Democracy“ in einem meiner neueren Bilder verwendet. Der gelbe Suhrkamp-Band, der in dem Bild bei dem Kannemeyer-Bildband liegt, ist das Buch “Die politische Suspension des Ethischen” von Slavoj Žižek. Es ist eine Aufzählung und philosophische Einordnung zahlreicher historischer Verstösse gegen ethische Grundsätze aus übergeordneten Gründen – etwa nach dem Prinzip: „Krieg führen, damit die Gewalt aufhört“. In dem Buch wird gezeigt, in welchem Maße wir weltweit unter Umständen leben, in denen Widersprüche ausgehalten werden müssen. Widersprüche, an denen wir uns in Hoffnung auf Neuerung und Besserung kritisch und politisch werden abarbeiten müssen.
In Žižeks umfangreicher Analyse von Ideologie und Kultur steht unter anderem die britisch-amerikanische Serie der Alien-Filme für ein interessantes Phänomen. Im Film des Regisseurs Ridley Scott und 5 anderer Regisseure, sowie nicht weniger als 12 Drehbuchautoren, stellt die Heldin fest, dass nicht nur das All und Raumschiffe vom Fremden, vom unheimlichsten Gegner und härtesten Feind besiedelt sind, sondern letztlich auch sie selbst. Diese Erzählung soll den Blick auf uns selbst lenken. Unser Bedürfnis nach Grenzziehung lässt uns nicht immer erkennen, dass der Gegner nicht so fern ist, wie wir ihn haben wollen.
Smog auf dem Platz des Himmlischen Friedens Beijing, Zeitungsfoto 2014
Beispiel: Wenn auf dem „Platz des Himmlischen Friedens“, der auch ein Platz des Massakers ist, bei Smog LED-Bildschirme blauen Himmel und weiße Wolken zeigen, begreifen wir leicht, wie mit Worten und Bildern manipuliert wird, und beschweren uns über „Ideologie“. Ein Pressefoto in unserer Zeitung soll dies „offenlegen“, wir sollen uns fern von vermeintlich gegnerischer Manipulation positionieren.
Aber auch wir Maler und Gestalter sind wie wir gesehen haben, potentielle Akteure im Spiel um Moral und Ideologie. Die Frage ist, auf welche Weise wir die professionelle Position reflektieren, offenlegen, teilen und vertreten können. Appell, Entlarvung, Spott, Moralischer Druck sind dabei Mittel der Distanzierung vom Gegnerischen, das sich aber möglicherweise nicht komplett bannen lässt. Es ist vielleicht sogar nötig, mit dem von uns identifizierten Gegner zu kohabitieren und eine mögliche Form der Koexistenz zu formulieren.
Wenn ich zum Ende in einer Art Kurzschluss versuche, aus der Perspektive von Žižeks Argumentation auf unser Thema „Illustration und Malerei“ zu blicken, so lenkt er unseren Blick auf die hybriden Formen. Nähe und Verwandtschaft von Malerei und Illustration zu bekämpfen, statt zu reflektieren, hieße – um im Bild der Alien-Serie zu bleiben: Unbemerkt den angeblichen „Gegner“ schon in sich haben. Das Absolut-Setzen von Malerei, aber auch die trendig-modische Illustration ohne Kenntnis und Respekt vor Kunst und Bildkultur gehen dabei ins Leere. (Dazu gleich noch zwei Nachbemerkungen.) – Als ausgesprochene Schwäche des „Lagers der Malerei“ empfinde ich es, eine angeblich „richtige Malerei“ von offeneren, durchlässigeren, konzeptuellen oder hybriden Formen der Malerei abzugrenzen.
1. Nachbemerkung
Triegel *1968
Im Schlepptau der grossen Erfolge der Leipziger Schule konnte sich der Maler Michael Triegel Achtungserfolge wie Kunsthallenausstellungen, positive Rezensionen in der „Zeit“ und Aufträge vom Vatikan sichern. Dem Maler kann man hervorragendes Handwerk bescheinigen, aber es fehlt das Risiko. Beifall vom Laien – Publikum und Neo – Konservativen bekommt diese Malerei automatisch. Sie scheint nämlich perfekt zu illustrieren, dass dem institutionellen Kunstbetrieb die Achtung vor gerade der Sorte Können fehlt, die mehrheitsfähig wäre.
Mich verblüfft bei Triegel die platte Verwechslung eines Retro-Stiles mit der Erfindungskraft der Renaissancemaler. Nazarener und Präraffaeliten haben in vergleichbarer Weise – in einem ungeklärten Schwebezustand zwischen Ideologie und Glaubwürdigkeit – die Verehrung alter Malerei zelebriert. Triegels Selbstinszenierung mit dem Bild eines verdeckten Kruzifixes, erscheint wie ein überdeutlicher Wink in Richtung des zu Beginn genannten Hans Sedlmayr und dem Gedanken vom „Verlust der Mitte“. Über seine Thematik fordert der Künstler ein Gefälle zwischen seiner Arbeit und dem Alltag, zwischen Kunst und Normalität ein und ist dabei doch Illustrator einer altbekannten kulturpessimistischen Idee.
2. Nachbemerkung:
Pettibon *1957
Raymond Pettibon zeigt in der Herbstausgabe des Magazins Electronic Beats zwischen Reportagen über HipHop und Musikfestivals zwei Blätter aus einem Bildband „Political Works 1975 – 2013“, herausgegeben von David Zwirner, Regen Projects und Hatje Cantz. In diesen Blättern von 2007 weist der Künstler auf die Verwandtschaft von Bin Ladens Aussagen mit denen bestimmter Republikanischer Politiker hin. Pettibon bekennt sich von seinen frühen Heften in billiger schwarzweiss-Kopie bis zu seinen heutigen Museums– und Galerieausstellungen zu der Kombination von Bild und Textmessage im Underground-Look. Er gehört durch seine Grafik für Musik-Alben von Black Flag und Sonic Youth zu den Künstlern, die in Musik– wie bildender Kunstszene bekannt sind.
Pettibon (2)
Das Magazin Electronic Beats bildet ihn im T-Shirt mit Farbflecken ab, lässt ihn eine kritisch aufklärerische Haltung zum 11. September präsentieren und gibt ihm im Kontext der abgebildeten Musikszene ein kritisch–alternatives, unabhängig–radikales Image. Das Heft, für das ich im deutschen Zeitungskiosk bezahlen muss, das aber in Amsterdamer Szenecafés kostenlos ausliegt, wird von einem Konsortium aus Deutscher Telecom und Burda-Verlag verlegt, die beide verdienen werden, wenn Musikdownloads und Kunst erfolgreich sind. Damit sind wir am Ende meines Vortrages wieder beim Thema der komplexen Vermischung von Medien und widersprüchlicher Botschaften und somit genau da, wo wir uns aktuell befinden: Im Markt der Bilder und der Kunstpolitik.
Ursprünglich geschrieben für: Illustrations- Impuls
25. November 2014
Organisiert von Alexander Roob und Patrick Thomas, Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart
Vorbemerkung
Dies ist eine Art visueller Essay zum Thema „Illustration und Malerei“ aus der Perspektive meines Ateliers und der Lehre. Beim Verfassen des Textes, der vor einer Mehrheit von Studentinnen gehalten werden sollte, machte ich zunächst den Versuch, die weibliche neben die männliche Form zu stellen, also von Studentinnen und Studenten, Malerinnen und Malern, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu sprechen. Spätestens aber bei Formulierungen wie „Dissonanz in Heldinnen- und Heldentum” merkte ich, dass dies die Verständlichkeit und Sprechbarkeit des Textes einschränkt und ich an diesem Versuch einer Gleichstellung scheitern werde. Ich bitte also um Verständnis.
–
Das Ladenschild des Kunsthändlers Gersaint
und
Europas größter Comicladen, Esslingen 2013
Die Begriffe „Illustration“ und „Malerei“ benutzt man im Alltag als verwandte, aber doch gegeneinander abgegrenzte Kategorien. Von Illustration haben wir die Vorstellung, dass es um eine „angewandte Kunst“ geht; um das Bebildern von Themen, die von Text und Theorie vorgegeben werden. Die klassische Illustration muss schnell Aufmerksamkeit wecken oder veranschaulichen, ist aber Inhalten wie Belehrung oder Information zu– oder untergeordnet. Die Kategorie „Malerei“ wird hingegen aufgrund der generellen Freiheit von Kunst als unabhängig gesehen. Nicht ausgesprochen wird dabei, dass auch die Kunst nach einer umkämpften, stark hierarchischen Bewertungsskala geordnet wird: „Kunst“ kann – aus was für Gründen auch immer – unbedeutend bleiben, aber auch in Auktionen in rekordverdächtige Höhen aufsteigen oder zur Blockbuster–Ausstellung–Inszenierung, die alle Plattformen bespielt. Es ergibt sich im Sprachgebrauch trotzdem eine ungefähre Arbeitsteilung: Angewandte und Freie Kunst, was grob gesehen einer Hierarchie zwischen populär-zugänglichen Alltagsbildern gegenüber elitärem, dauerhaftem Anspruch entspräche.
Gerhard Richter *1932, „Atlas”
Als Maler sitze ich im Atelier oder an meinem Schreibtisch, wo ich mich vorbereite, vor Mengen von gesammelten Abbildungen, Illustrationen, Zeitungsausschnitten, die mich irgendwie fasziniert haben. Sie sind Arbeitsmaterial und noch nicht „Kunst“, aber gesammelte Fotos und Bilder, Magazine, Bücher, spielen zugegebenermaßen eine größere Rolle bei der Vorbereitung als eigene Skizzen und Entwürfe. Bei Kollegen, die ich ebenso lustvoll in solchen Materialsammlungen hausen sehe, ist das ähnlich; oder bei Studenten, die von Fotos malen, oder mittlerweile ohne Papierausdruck direkt vom Bildschirm. Es gibt renommierte Beispiele für das Arbeiten aus einem angesammelten Bild-Pool: Man kennt Gerhard Richters „Atlas“, der nicht nur gelegentlich ausgestellt wird, als Buch publiziert, sondern auch auf einer Website zur Verfügung steht. Gefundene Bilder, visueller Alltag haben hohen Rang in seiner Malerei-Produktion.
Hans Sedlmayr 1896 – 1984, Buchcover „Verlust der Mitte“
Aby Warburg 1866 – 1929
In den kunstwissenschaftlichen Teilen meiner Ausbildung geriet ich zwischen Lehrer, von denen sich einer auf die Methodik seines Lehrers Hans Sedlmayr und andere eher auf Aby Warburg bezogen. In großen Teilen einander entgegengesetzt, konnte dies Studierende verwirren. Dabei spielte eine Rolle das sublime „handwerklich richtige“ Malen, die hohe Kunst, die Alltagsbildern und einer umfassenden „visuellen Kultur“ entgegengesetzt wurden.
Sedlmayr beschreibt Phänomene der Gegenwartskunst in Begrifflichkeit der Krankheit und gibt der abendländisch-christliche Tradition und insbesondere der vor-modernen figurativen Malerei den höchsten Rang. Überspitzt polemisierte mein damaliger Lehrer in „Sedlmayr-Tradition“, dass seine „Warburg-Kollegen“ „Kathedralen mit Bierdeckeln“ vergleichen. Jenseits dieser Polemik schätze ich dennoch an Sedlmayrs Methodik die Forderung nach Erkenntnis durch Anschaulichkeit.
Aby Warburg hingegen legte mit der Methodik einer umfassenderen, internationaleren, auch den Alltag betreffenden Ikonologie Grundlagen für eine Haltung, die ich bis heute bei vielen Kunstwissenschaftlern und Künstlern – auch beim oben genannten Gerhard Richter – sehe: Es geht darum zu erkennen, wie sich kulturelle Entwicklungen vollziehen und komplex auswirken. Sie sind eben nicht ausschliesslich einer „hohen“ Kunst vorbehalten. Viele Künstler, die uns interessieren, arbeiten an globalen Vergleichen und Zusammenhängen in der gesamten visuellen, ästhetischen Produktion und eben nicht nur der als „Hochkultur“ deklarierten Bildwelt.
Der Blick des Malers mit eher assoziativer Vorgehensweise setzt sicher andere Schwerpunkte als die Wissenschaft, die fundierte Nachweise bringen muss. Aber sowohl Kunst als auch Wissenschaft interpretieren vorhandene Bilder in Motivreihen, um die Abkunft von Bildern zu untersuchen oder um sich Entwicklungen zu erklären. Die figurative Bildreihe, die ich hier versuchsweise vorstelle, enthält dabei Werke von Malern, mit einem ausgesprochenem Verhältnis zur Grafik.
An den dargestellten Figuren hat mich interessiert, wie – parallel zur historischen Lösung aus dem Feudalismus – aus moralischer Vorhaltung und Wertung eine umfassende, letztlich radikale, politisch-soziale Kritik wird. Mit Hilfe künstlerischer Interpretation und Stilisierung wird eine zunehmende Doppelbödigkeit und ein Hintertreiben der dargestellten menschlichen Figur sichtbar; Die figurative Darstellung bewegt sich in einer Skala von der Idealisierung hin zum grotesk – monströsen Phantasma. Aus Dissonanz in Heldentum und Heiligkeit entwickeln sich die Möglichkeiten der Karikatur. Am Ende steht der überzeichnete „character“, der uns in zeitgenössischen Bildern zeigt, wo die Welt gut oder fehlbesetzt ist und was uns deformiert. In der Entwicklung der Abbildung von Menschen wird die Veränderung gesellschaftlicher Hierarchien, der Mechanismen von Verfügung über Menschen, der Befreiung und ständigen Neu–Aufbruchs und Wandels von Ideologien sichtbar. Wie gesagt ist diese Reihe ein persönlicher Versuch der Veranschaulichung eines thematischen Wandels im Figurativen.
Heinrich Aldegrever 1502 – ca 1561
Jacques Callot 1592 – ca 1635
Jacques Callot (2)
Leonaerd Bramer 1596-1674
Francisco Goya 1746-1828
Karl Blechen 1798-1840
Karl Blechen (2)
Honoré Daumier 1808-1879
Honoré Daumier (2)
Odilon Redon (3)
Vincent van Gogh 1853-1890
James Ensor 1860-1949
James Ensor (2)
James Ensor (3)
Max Ernst 1891– 1976
Max Ernst (2)
Max Ernst (3)
Hannah Höch 1889 – 1978
Hannah Höch (2)
Hannah Höch (3)
Kurt Schwitters 1887 – 1948
Kurt Schwitters (2)
Allen Jones * 1937
Allen Jones (2)
Allen Jones (3)
Ronald B. Kitaij 1932 – 2007
Ronald B. Kitaij (2)
Sigmar Polke 1941 – 2010
Sigmar Polke (2)
Marlene Dumas * 1953
Marlene Dumas (2)
Ein solcher Schnelldurchlauf durch ausgewählte Figurendarstellungen muss lückenhaft bleiben und soll nur die inspirierende Methode mit ihrem Reichtum an Querverweisen illustrieren. Sicherlich würden Kunsthistoriker eher die grossen historischen Umwälzungen und Paradigmenwechsel wie die französische Revolution und Industrialisierung in ihrer Auswirkung auf die Distanz von Kunst und Massenkultur hin untersuchen. Als Bilder-Hersteller kann ich mir dagegen die Perspektive eines anschaulichen Vergleiches, des Zitates und der „Weiterverarbeitung” auch über Epochen und historische Kontexte hinweg erlauben:
Wilhelm Busch, Neuruppiner Bilderbogen Mitte 19. Jh.
So wie ich bei einem meiner kleinen Blätter offensichtlich Jahre später eine Zeichnung von Wilhelm Busch als unbewusste Quelle entdeckte, könnten die vergleichende Ikonologie Bilder des bekanntesten Exponenten der „Leipziger Schule” Neo Rauch auf die auffallende Häufung von biedermeierlich-deutscher Kostümierung seiner Bildfiguren und eine eventuelle Verwandtschaft mit in der DDR verbreiteter Literatur über Neuruppiner und andere Bilderbogen hin untersuchen.
Neo Rauch *1960
Geht man noch einen Schritt weiter und analysiert seinen grossen Erfolg bei amerikanischen Sammlern, so geraten vielleicht auch Ikonologie, Bildaufbau und Farbigkeit der US- amerikanischen Superhelden-Comics in Sicht – eine visuelle Verwandtschaft, die zu Rauchs Erfolg beigetragen haben kann.
––
Mich persönlich würde interessieren, inhaltlich andere Bildfolgen des Wandels zusammenstellen. Zum Beispiel über den Bildraum in der Malerei: Bildorganisation, Raumkonstruktion in der Fläche, bildinnere Rahmung, Nebenbilder im Bild, Layout, „split screen“, filmartige Sequenz und interaktive Navigation folgen ähnlich dramatischem und bezeichnendem Wandel. Aber das gezeigte Beispiel der Figurenbilder soll genügen und dafür stehen, dass Bildmotive eine komplexe Entwicklungsgeschichte durchlaufen.
Marlene Dumas „Models”
Im Folgenden möchte ich auf zeitgenössische künstlerische Positionen eingehen, die aus Gründen der Inhaltlichkeit auf populäre Bilderwelten und Illustration zugreifen. Es geht um Künstler, die ein Verständnis davon voraussetzen, dass mit medialen Ebenen gespielt wird. Letzteres schafft die Möglichkeit, sich mit einer visuellen Strategie in öffentliche Debatten einzumischen. Die rasante Veränderung von Medien und die Verfügung über Bilderzeugung werden dabei selbst zum Thema. Malerei und Illustration profitieren voneinander oder scheinen die Plätze zu tauschen. Im wahrsten Sinne kommt es zur gegenseitigen Reflexion.
Marlene Dumas „Models”(2)
Matthias Winzen formulierte über die Überlagerung von medialen Ebenen anlässlich der Ausstellung von Marlene Dumas´ Bildern in der Kunsthalle Baden-Baden sinngemäß: Marlene Dumas habe in der Serie der „Models“ ihre erstaunliche Fähigkeit bewiesen, durch Malerei aus maskenhaft-geschminkten und digital bearbeiteten Zeitungsabbildungen wieder Gesichter mit Emotionen zu machen, die auf der Ebene der Malerei „lebten“. Hier wurden demnach sterile Illustriertenfotos in intensive Bilder zurück verwandelt. So sehr ich dem zustimme, was Winzen dort insbesondere an der Serie der „Models“ beobachtete, bin ich bei der neueren Serie von Künstlerporträts kritisch:
Bevor Dumas erstmals eine Porträtserie homosexueller Künstler auf der „Manifesta 2014“ in St. Petersburg zeigte, gab es bereits kritische Pressestimmen, die sich mit der jüngsten Gesetzgebung hinsichtlich Homosexualität in Russland auseinandersetzen, zu denen diese Portäts wie nachgelieferte Illustrationen wirken. Diese Blätter entfalten nicht die gleiche malerische Notwendigkeit wie diejenigen, die die high-end gestylten Models der Modeblätter transformieren. Ein Kommentar zu Bildmanipulationen an Models fällt klarer in die Kompetenz von Malerei. Dumas als in Europa lebende Südafrikanerin positioniert sich in ihren beiden Bilderserien in der politischen, interkulturellen und Gender - Debatte. Wenn der „malerische Blick“ Anlass für die Arbeit ist, wird das Ergebnis jedoch intensiver, als wenn die politische Haltung der Malerei eine illustrierende Rolle zuweist.
Das Politische und Soziale, das Aufgreifen populärer Themen bringt Künstler in die Rolle des renommierten Vorkämpfers und kann ihm auf politischer Ebene die Aura des Engagements verschaffen. Aber tut er der Malerei einen Gefallen und brauchen wir ihn als Verkünder und Autorität?
Shepard Fairey *1970
Das Bild der demokratischen Kampagne und Popularität des Kandidaten Barak Obama wurde weltweit geprägt durch Shepard Fairey und seine wie mit Schablonen gesprayten flächigen Porträts. Nichts soll an repräsentative Kunst, malerischen Schmelz erinnern. Fairey schreckt allerdings weder vor Monumentalität, noch der imposanten Untersicht auf Gesichter zurück. Suggeriert wird große Direktheit und Einfachheit politischer Folklore.
Moralisches und soziales Engagement sind dazu verdammt, mit den politischen Verhältnissen kippen, die Konnotation des Engagements und des Populären ebenso. Nachträglich wirken die Obama-Portäts wie Applaus zum Repräsentanten des Systems. Ursprüngliche Hoffnungen und politische Details gehen in Propaganda unter.
Shepard Fairey (2)
Shepard Fairey (3)
Shepard Fairey „bei den Simpsons”
Nicht zu übersehen ist zudem der Stolz, mit dem sich die Pop-Attitüde mit dem Marketing von Mode verbindet. In den USA vielleicht der Beweis, dass Kunst im Alltag der Menschen angekommen ist. In Europa würde man dagegen den Konsumismus und die Gewinnerzielungsabsicht hinterfragen. Hier wird auf jeden Fall eine Gemeinde von Followern gebildet. Das vom Kult-Künstler gemachte Bild bekommt die Qualität eines Logos, das die Lifestyle-Szene zusammenschweisst. Die mediale Aufmerksamkeit, macht seine Inhalte zu einer Konsumware mit vergänglicher Haltbarkeit vergleichbar Mode oder Tageszeitung.
Kerry James Marshall *1953
Ein gleichzeitiges und doch entgegengesetztes Phänomen ist die Karriere des Malers Kerry James Marshall , der als Schwarzer derzeit im Alter von ca. 60 Jahren Ausstellungserfolge hat, die aber auf der kuratorischen Ebene wie ein erschrecktes Nachholen von Versäumnissen wirkt. Denn wie peinlich ist es, dass verglichen mit der Pop Musik im Ausstellungsbetrieb so unglaublich wenige schwarze Amerikanerinnen und Amerikaner international durchbrechen? Im Interview bekennt Kerry James Marshall, dass er sich in der akademischen Welt mangels Vorbildern als Aussenseiter empfand.
Kerry James Marshall (2)
So speist sich seine Ikonographie konsequenterweise aus der Alltagswelt der schwarzen Communities, die sich in einer eigenen Subkultur von Zeichen und Bildern äussert – allerdings mit der Frage nach kultureller Autonomie und Rechten einer Minderheit.
Kerry James Marshall (3)
Typisch ist es, dass ein Teil seines Werkes aus sequenziellen Bildern und graphic novels besteht, die sich vor seiner späten Karriere zunächst an das Publikum ausserhalb der Kunstszene richteten. In dieser prägenden Nähe zum Populären ist das Werk Kerry James Marshalls authentischer als all die Vertreter des kalkulierten „Bad Painting”, die als Akademiker ihre Nähe zur Popularkultur durch Illustrations – Zitate wie abgemalte Kitschpostkarten oder sonstiges absichtlich „Geschmackloses“ unter Beweis stellen wollen.
„Bad Painting”
„Miss Eve“ Evelyn Wangui Gichuhi *1980
Im Folgenden nun ein Beispiel einer jungen Illustratorin: „Miss Eve“ nennt sich Evelyn Wangui Gichuhi, eine junge Kenianische Illustratorin, die in den Klassen von Hendrik Dorgathen (Illustration) und Gabriele Franziska Götz (Visuelle Kommunikation) an der Kunstakademie in Kassel studierte. In ihrer Abschlussarbeit, einem Heft aus Bild und Text mit fundierter Quellenangabe kombiniert sie eine gezeichnete Geschichte mit Afrikanischen Werbebildern.
„Miss Eve“ (2)
Thema ist die Konstruktion des neuen, scheinbar korrekten „Nicht-Rassismus“, unter Weissen, der völlig ohne Schwarze Theoretiker und „Person of Colour“ „auskommt“.
Für ein solch schwieriges Thema voller ethisch–politischer Fallen und Fettnäpfe wählt sie das sequenzielle Bild und komplettiert das Heft mit ihren Texten und Verweisen auf Literatur und Links. So schafft sie Transparenz und Erreichbarkeit für ihr Publikum: Ein solches Heft kann als „niedrigschwellige“ Produktion ein zugänglicher Beitrag zur Debatte werden.
Chérie Samba *1956
Tafelbilder zu vergleichbaren Afrikanischen Themen, wie man sie etwa von Cherie Samba gesehen hat, wirken dem gegenüber eher wie Zwitter und müssen innerhalb seiner Thematik die Tradition des „wertvollen Bildes“ in einer Sammlung oder einem Museum erst etablieren.
Chérie Samba (2)
Die von Cherie Samba benutzen Mengen von Text im gemalten Bild spiegeln im Versuch der Überbrückung das Gefälle zwischen „Wissendem“ und „Nicht-Wissendem“, zwischen gebildeter und unerfahrener Rezeption.
Anton Kannemeyer *1967
Ein letztes Afrikanisches Beispiel soll zeigen, dass kritische Themen in der Grafik und Illustration für die Kritisierten schmerzhafter, also in ihrer Wirkung treffender werden können als malerisch ausdifferenzierte Unikate in einer Kunstgalerie: Anton Kannemeyers „Alfabet of Democracy“, eine Folge aus losen satirischen Blättern, die auch als Buch gebunden heraus kam, prangert nach Apartheid und Mandela Missstände an und zeigt wenig schmeichelhafte Portäts der Verantwortlichen.
Anton Kannemeyer (2)
„Die Guten” haben gesiegt und herrschen nun, – aber wie kann man nun Kritik formulieren, ohne rückwärtsgewandt zu sein? Seine an Hergé angelehnten Comic- Figuren scheinen in einer Welt eines zersplitterten, sich aber immer wieder neu formierenden Rassismus zu leben. Anton Kannemeyer gehört zu einem Team, das ein Comic-Blatt heraus gab, das politisch beobachtet und kommentiert. Hier ist keine künstlerisch-handschriftliche Individualität gefordert. Dennoch wurden Blätter aus Kannemeyers Serien auch in Kunst-Ausstellungen gezeigt und sind dadurch in gewissen Kreisen Kult geworden.
Ich habe sein Buch „Alfabet of Democracy“ in einem meiner neueren Bilder verwendet. Der gelbe Suhrkamp-Band, der in dem Bild bei dem Kannemeyer-Bildband liegt, ist das Buch “Die politische Suspension des Ethischen” von Slavoj Žižek. Es ist eine Aufzählung und philosophische Einordnung zahlreicher historischer Verstösse gegen ethische Grundsätze aus übergeordneten Gründen – etwa nach dem Prinzip: „Krieg führen, damit die Gewalt aufhört“. In dem Buch wird gezeigt, in welchem Maße wir weltweit unter Umständen leben, in denen Widersprüche ausgehalten werden müssen. Widersprüche, an denen wir uns in Hoffnung auf Neuerung und Besserung kritisch und politisch werden abarbeiten müssen.
In Žižeks umfangreicher Analyse von Ideologie und Kultur steht unter anderem die britisch-amerikanische Serie der Alien-Filme für ein interessantes Phänomen. Im Film des Regisseurs Ridley Scott und 5 anderer Regisseure, sowie nicht weniger als 12 Drehbuchautoren, stellt die Heldin fest, dass nicht nur das All und Raumschiffe vom Fremden, vom unheimlichsten Gegner und härtesten Feind besiedelt sind, sondern letztlich auch sie selbst. Diese Erzählung soll den Blick auf uns selbst lenken. Unser Bedürfnis nach Grenzziehung lässt uns nicht immer erkennen, dass der Gegner nicht so fern ist, wie wir ihn haben wollen.
Smog auf dem Platz des Himmlischen Friedens Beijing, Zeitungsfoto 2014
Beispiel: Wenn auf dem „Platz des Himmlischen Friedens“, der auch ein Platz des Massakers ist, bei Smog LED-Bildschirme blauen Himmel und weiße Wolken zeigen, begreifen wir leicht, wie mit Worten und Bildern manipuliert wird, und beschweren uns über „Ideologie“. Ein Pressefoto in unserer Zeitung soll dies „offenlegen“, wir sollen uns fern von vermeintlich gegnerischer Manipulation positionieren.
Aber auch wir Maler und Gestalter sind wie wir gesehen haben, potentielle Akteure im Spiel um Moral und Ideologie. Die Frage ist, auf welche Weise wir die professionelle Position reflektieren, offenlegen, teilen und vertreten können. Appell, Entlarvung, Spott, Moralischer Druck sind dabei Mittel der Distanzierung vom Gegnerischen, das sich aber möglicherweise nicht komplett bannen lässt. Es ist vielleicht sogar nötig, mit dem von uns identifizierten Gegner zu kohabitieren und eine mögliche Form der Koexistenz zu formulieren.
Wenn ich zum Ende in einer Art Kurzschluss versuche, aus der Perspektive von Žižeks Argumentation auf unser Thema „Illustration und Malerei“ zu blicken, so lenkt er unseren Blick auf die hybriden Formen. Nähe und Verwandtschaft von Malerei und Illustration zu bekämpfen, statt zu reflektieren, hieße – um im Bild der Alien-Serie zu bleiben: Unbemerkt den angeblichen „Gegner“ schon in sich haben. Das Absolut-Setzen von Malerei, aber auch die trendig-modische Illustration ohne Kenntnis und Respekt vor Kunst und Bildkultur gehen dabei ins Leere. (Dazu gleich noch zwei Nachbemerkungen.) – Als ausgesprochene Schwäche des „Lagers der Malerei“ empfinde ich es, eine angeblich „richtige Malerei“ von offeneren, durchlässigeren, konzeptuellen oder hybriden Formen der Malerei abzugrenzen.
1. Nachbemerkung
Triegel *1968
Im Schlepptau der grossen Erfolge der Leipziger Schule konnte sich der Maler Michael Triegel Achtungserfolge wie Kunsthallenausstellungen, positive Rezensionen in der „Zeit“ und Aufträge vom Vatikan sichern. Dem Maler kann man hervorragendes Handwerk bescheinigen, aber es fehlt das Risiko. Beifall vom Laien – Publikum und Neo – Konservativen bekommt diese Malerei automatisch. Sie scheint nämlich perfekt zu illustrieren, dass dem institutionellen Kunstbetrieb die Achtung vor gerade der Sorte Können fehlt, die mehrheitsfähig wäre.
Mich verblüfft bei Triegel die platte Verwechslung eines Retro-Stiles mit der Erfindungskraft der Renaissancemaler. Nazarener und Präraffaeliten haben in vergleichbarer Weise – in einem ungeklärten Schwebezustand zwischen Ideologie und Glaubwürdigkeit – die Verehrung alter Malerei zelebriert. Triegels Selbstinszenierung mit dem Bild eines verdeckten Kruzifixes, erscheint wie ein überdeutlicher Wink in Richtung des zu Beginn genannten Hans Sedlmayr und dem Gedanken vom „Verlust der Mitte“. Über seine Thematik fordert der Künstler ein Gefälle zwischen seiner Arbeit und dem Alltag, zwischen Kunst und Normalität ein und ist dabei doch Illustrator einer altbekannten kulturpessimistischen Idee.
2. Nachbemerkung:
Pettibon *1957
Raymond Pettibon zeigt in der Herbstausgabe des Magazins Electronic Beats zwischen Reportagen über HipHop und Musikfestivals zwei Blätter aus einem Bildband „Political Works 1975 – 2013“, herausgegeben von David Zwirner, Regen Projects und Hatje Cantz. In diesen Blättern von 2007 weist der Künstler auf die Verwandtschaft von Bin Ladens Aussagen mit denen bestimmter Republikanischer Politiker hin. Pettibon bekennt sich von seinen frühen Heften in billiger schwarzweiss-Kopie bis zu seinen heutigen Museums– und Galerieausstellungen zu der Kombination von Bild und Textmessage im Underground-Look. Er gehört durch seine Grafik für Musik-Alben von Black Flag und Sonic Youth zu den Künstlern, die in Musik– wie bildender Kunstszene bekannt sind.
Pettibon (2)
Das Magazin Electronic Beats bildet ihn im T-Shirt mit Farbflecken ab, lässt ihn eine kritisch aufklärerische Haltung zum 11. September präsentieren und gibt ihm im Kontext der abgebildeten Musikszene ein kritisch–alternatives, unabhängig–radikales Image. Das Heft, für das ich im deutschen Zeitungskiosk bezahlen muss, das aber in Amsterdamer Szenecafés kostenlos ausliegt, wird von einem Konsortium aus Deutscher Telecom und Burda-Verlag verlegt, die beide verdienen werden, wenn Musikdownloads und Kunst erfolgreich sind. Damit sind wir am Ende meines Vortrages wieder beim Thema der komplexen Vermischung von Medien und widersprüchlicher Botschaften und somit genau da, wo wir uns aktuell befinden: Im Markt der Bilder und der Kunstpolitik.
Ursprünglich geschrieben für: Illustrations- Impuls
25. November 2014
Organisiert von Alexander Roob und Patrick Thomas, Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart
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