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Irrungen,Wirrungen Friedrich Meschede 
Holger Bunk erhält 2015 eine Einladung zu einer Ausstellung im Kunstraum Neuruppin. Diese Stadt im Norden von Berlin ist nicht nur durch Theodor Fontane bekannt geworden, auch und besonders als Produktionsstätte des sogenannten «Neuruppiner Bilderbogens». Diese sogenannten Einblattdrucke waren im 18. und 19. Jahrhundert besonders beliebt. Sie konnten belehren oder auch nur unterhalten oder als Dekor verstanden werden, weil man sich «hohe» Kunst nicht leisten konnte. Dadurch wurden sie zum Sammelobjekt. In den bildreichen Bogen wurden verschiedene Themen populär zur Darstellung gebracht, der Neuruppiner Bilderbogen war ein enzyklopädisches Medium, um auf einfache wie eindrucksvolle Weise die Welt zu erklären. Sie stellen in schematischer Übersicht die Welt der Pflanzen, der Früchte, der Tiere, der Mineralien dar, Landschaften wurden in ihrer typischen Weise vorgestellt, weil das Reisen noch nicht möglich war, regionales Brauchtum wurde vermittelt, Märchen oder Moralisches in Szenen erzählt, kurz: diese Drucke waren anschaulich und beliebt, kamen in Schulen zum Einsatz oder auch als Flugblatt, wenn z.B. ein Bogen zum Deutsch- Französichen Krieg 1870/71 in einer Auflage von fast 2 Millionen Exemplaren gedruckt worden sein soll. 
Vor diesem Hintergrund beginnt Holger Bunk die Arbeit an «Irrungen,Wirrungen», einem so betitelten Text von Theodor Fontane mit einem Zitat aus diesem Roman. Das Buch ist im 6. Blatt der Serie als gelbes Reklamheft zitiert, kombiniert mit einem Barcode, der, einmal gescannt, den Nut­zer zu einem Text von Holger Bunk über Malerei führt, der seinerzeit Grundlage einer Vorlesung an der Akademie in Stuttgart war (Anmerkung: „Kathedrale und Bierdeckel – Gefälle zwischen Malerei und Illustration?" ein älterer Post, weiter unten auf diesem blog). Bunk konzipiert eine Arbeit bestehend aus mehreren Blättern, beginnend damit, das auf je­ dem Blatt ein Wort des Satzes von Fontane steht. 
Ebenfalls 2015 besucht Holger Bunk die Kunsthalle Bielefeld, um die damals stattfindende Ausstellung «Serendipity – Niklas Luhmann, Ulrich Rückriem, Jörg Sasse » zu besuchen. In dieser Ausstellung wurde der Zettelkasten von Niklas Luhmann erstmals öffentlich ausgestellt und in der Auseinandersetzung mit Luhmann stößt Holger Bunk auf einen Satz aus Luhmanns Schriften zur Kunst und Kultur, den er nun dem Satz von Fontane zuordnen will. Es treffen zwei ganz gegensätzliche literarische Stile aufeinander, dem romantischen Fontane­ –Zitat wird nun das analytische Luhmann­–Zitat gegenübergestellt. So finden sich nun zwei Wörter auf je einem Blatt der Bildserie, die sich in ihrer Konstellation aus dem Zufall der Überlagerung ergeben. Am Anfang und Ende der Bildfolge steht ein Ganzfiguren- porträt des Autors, bevor die beiden Sätze zitiert werden. Die Logik der gelesenen Sätze gibt damit die Anordnung der Bilder vor. Fontane liest man oben mit roten Buchstaben, Luhmann in blauer Schrift darunter. Aufgrund der Tatsache, dass der Luhmann­–Satz mehr Wörter enthält als derjenige von Fontane er­ gibt es sich, das Blatt zwei und drei der ers­ten Worte von Luhmann keine Korrespondenz zu Fontane aufweisen. Um diesen Gestaltungsvor­gang biblisch zu begründen: Am Anfang stand das Wort. 
Bei der Erfindung/ Findung der bildneri­schen Elemente lässt sich Holger Bunk fortan von den Assoziationen leiten, die durch die Begriffe ausgelöst werden. Ein prägnantes Beispiel sei mit dem Begriffspaar «Ehrlichkeit/Rede» des 30. Blat­tes genannt, dem Bunk aus der Erinnerung ein historisches Foto des Eichmann­–Prozesses der 1960er Jahre in Jerusalem zuordnet. Im Blatt 4 mit dem Begriff «Medium» stellt Bunk in comicar­tiger Weise die Herstellung eines Bilderbogens dar, er illustriert die Vervielfältigung als solche. Mit Blatt 26 «Was/man» nimmt er Bezug auf den Ort, indem er die Fassade des Geburtshauses von Theodor Fontane darstellt, die Fassade des Gym­nasiums, das dieser Sohn der Stadt besucht hat und schließlich die Kirche von Neuruppin, um in dieser eigenwilligen Stadtvedute die Wahrzeichen des Ortes wie in einer Ansicht aus Bühnenvorhän­gen hintereinander gestaffelt zusammen zu zeigen. 
Markant ist noch Blatt 32 mit dem Begriffspaar «Freiheit/akustisch», weil hier der Comicstil der französischen Zeitschrift Charlie Hebdo zu erkennen ist und Bunk damit ein Datum aufgreift, das sich auf die Terroranschläge von Paris im Januar 2015 bezieht. 
Diese Beispiele mögen genügen um zu belegen, wie spontan assoziativ einerseits, aber auch konzeptuell zitierend andererseits Holger Bunk diese Bildserie «Irrungen,Wirrungen» gestal­tet hat. Es ist ein aktueller Bilderbogen zeitgenös­sischer Art entstanden, der auch beispielhaft für die Bilderflut heutiger Medien steht, in denen wir uns täglich zurechtfinden müssen. In «Irrun­gen,Wirrungen» mischt Bunk stilistische Vielfalt und er wechselt auch die Darstellungstechniken, er arbeitet mit Pastellkreide, dem Zeichenstift oder er aquarelliert die Motive, die eben Bildzitate sind oder frei erfundene Figurationen, die allesamt aus dem Bildarsenal des Künstlers stammen, das permanent sortiert werden will. 















































 







 

 

 










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